Oktober 2006
Vom Main-Post-Mitarbeiter Volker Hensel
„Wissen was da vorgeht“
GELDERSHEIM
„Wir wollen dem Kernkraftwerk Grafenrheinfeld schon über die Schulter schauen.“ Vor allem das neue Zwischenlager ist Peter Möhringer von der Bürgeraktion Müll und Umwelt nicht geheuer. Weshalb nun neue Radioaktivitätsmessgeräte rund um Grafenrheinfeld postiert werden.
„Seit 17 Jahren führen wir nun schon Messungen durch“, berichtete Möhringer im Rahmen einer Informationsveranstaltung der Bürgeraktion in den bis auf den letzten Platz besetzen Geldersheimer Gaden. In dieser Zeit kam es zwar im KKG selbst nicht zu Auffälligkeiten, doch vor allem bei der Verladung der Castoren im Gochsheimer Bahnhof schlugen die Messgeräte aus. „1996 registrierten wir dabei einen Radioaktivitäts-Austritt, der deutlich über dem zulässigen Grenzwert lag“, so Möhringer.
Ein Verstoß, der ohne die Messungen wohl nicht bekannt geworden wäre. „Wir wollen schon wissen, was da vorgeht“, sagte der Professor der Elektrotechnik an der FH Schweinfurt. „Private Messungen von Bürgern sind notwendig, weil sonst so manches einfach unter den Tisch gekehrt werden würde.“ So sei ein schwerer Störfall im ungarischen Paks vor drei Jahren nur aufgedeckt worden, weil die Uni Budapest dort private Messungen durchführte.
Nun haben allerdings die alten Messgeräte ausgedient. An der FH wurde deshalb in Form einer Diplomarbeit vom Schweinfurter Mathias Brügel ein neuer Typ entwickelt.
Einfache Handhabung
„Für den Nutzer viel einfacher zu bedienen“, lobt Möhringer. Das neue Messgerät enthalte ein übersichtliches Display und einen handelsüblichen Chip zur Datenspeicherung – wie er beispielsweise auch in einer Digitalkamera verwendet wird – , der in jedem Computer problemlos gelesen und ausgewertet werden könne. Gemessen wird mit einem herkömmlichen Geiger-Müller-Zählstab. Die Neuentwicklung ist zudem wasserfest und benötigt nur einen Stromanschluss.
Zehn Geräte sollen bis Frühjahr im Landkreis aufgestellt werden, unter anderem in Schwebheim und Gochsheim. Die erste Messstelle soll bereits im November an der Bergrheinfelder Kläranlage installiert werden. Der Gemeinderat hat das bereits genehmigt. „Wir suchen aber noch Bürger, die sich privat ein Messgerät anschaffen wollen“, so Möhringer. Zwischen 900 und 1000 Euro koste eines. Die Geräte wurden durch Spenden angeschafft, vor allem der „Solarstammtisch“ steuerte einen bedeutenden Betrag bei.
„Der Grund, warum wir jetzt wieder verstärkt messen, sind auch die vielen Zwischenfälle, die es in letzter Zeit in Grafenrheinfeld gegeben hat“, so Möhringer. „Das KKW kommt auch langsam in die Jahre.“ Zudem habe man die Befürchtung, dass aus dem neuen Zwischenlager Radioaktivität freigesetzt werde. Schließlich müssten die Behälter durch Frischluft gekühlt werden, die dann durch das Dach der Halle abziehe.
Dass das Problem der Entsorgung von Atommüll noch in keinster Weise gelöst ist, darauf wies auch Referent Raimund Kamm vom Anti-Atom-Forum Schwaben eindringlich hin. „Nach vier Jahren Nutzung ist ein Brennelement zehn Milliarden Mal so radioaktiv wie vor der Nutzung“, berichtete Kamm. „Es dauert eine Million Jahre, bis die Strahlung sich so weit abgebaut hat, dass sie nicht mehr gesundheitsschädlich ist. Wie soll das funktionieren, dass wir es so verpacken, dass der Behälter eine Million Jahre dicht hält?“ Allein in Grafenrheinfeld würden täglich 70 bis 80 Kilogramm Brennelemente-Müll anfallen. „Und noch nicht ein Kilo davon ist entsorgt.“
Doch der Atom-Ausstieg sei absolut möglich. Nach der so genannten „Drei-E-Strategie“ (Einsparen, Effizienz, Erneuerbare Energien) soll es spätestens 2050 möglich sein die Energieversorgung in Deutschland ausschließlich mit erneuerbaren Energien (Biomasse, Wind, Wasser, Sonne) zu bestreiten“, glaubt Kamm.
Sechs-Punkte-Plan
Um das zu erreichen, wollen Kamm und seine Bürgeraktion der Politik einen Sechs-Punkte-Plan vorlegen, „der sofort zu verwirklichen ist“.
Punkt 1: „Ein Aus-ist-Aus-Gesetz. Jedes Elektrogerät soll einen Aus-Schalter haben und dann keinen Strom mehr verbrauchen.“
Punkt 2: „Ab sofort sollen nur noch Passiv-Häuser gebaut werden. Derzeit brauchen wir pro Quadratmeter Wohnfläche 20 Liter Öl. Durch Passiv-Häuser kann das auf ein bis zwei Liter gedrückt werden.“
Punkt 3: „Beendigung der Steuerbefreiung und Subventionierung des Flugverkehrs:“
Punkt 4: „Tempo 120 auf den Autobahnen.“
Punkt 5: „Beendigung staatlicher Privilegien für Atomkraftwerke. Jedes Atomkraftwerk muss ausreichen haftpflichtversichert sein.“
Und 6: „Ausbau der ökologisch-sozialen Steuerreform. Das bedeutet, Arbeit muss steuerlich entlastet und Energieverbrauch stärker belastet werden.“